Nachdem ich seit zwei Jahren nicht in Neuseeland gewesen und einiges in der Zwischenzeit geschehen war, war es vergangenen Dezember endlich soweit und ich durfte wieder eine Reise ins „Land der langen weißen Wolke“ – Aotearoa – antreten.
Obwohl ich – was das Reisen anbelangt – nach all den Jahren und Erfahrungen schon einigermaßen abgebrüht bin, war diese Reise nach Neuseeland dann doch mit einer gewissen Aufregung verbunden. Immerhin sollte sich endlich die Gelegenheit ergeben, Wyns Familie zu treffen und sich gegenseitig kennen zu lernen. Dementsprechend war ich etwas nervös. Was würde mich dort wohl erwarten? Wie würde man mich wahr- bzw. aufnehmen? Wie geht die Familie mit der gesamten Situation und der Lebensweise von mir und Wyn um? Haben all das und ich selbst in einem traditionell-kulturell geprägten Umfeld wirklich Platz und sind das große Wohlwollen und die Unterstützung der Familie, die sich in vielen E-Mails und Telefonaten schon ausgedrückt hat, tatsächlich so gegeben? … In erster Linie war ich aber voller Vorfreude auf das, was da kommen mag, und natürlich auf das Wiedersehen mit Wyn, die schon einen Monat vorher nach Neuseeland gereist ist um einige Dinge für die kommenden Wochen und Monate unseres Aufenthaltes vorzubereiten.
Die Wiedersehensfreude am Flughafen in Auckland war riesengroß. Wyn hat dort alleine auf mich gewartet, um mich zuerst einmal noch mit niemandem teilen zu müssen. In der mit 1,5 Millionen Einwohnern einzigen Großstadt Neuseelands (ein Drittel der gesamten Nation lebt dort) kann man dann ja auch leicht einmal untertauchen…würde man glauben…und irgendwie wunderte es mich dann trotzdem nicht wirklich, als wir bei irgendeinem Einkaufszentrum zwischen Flughafen und Stadt kurz stehenblieben, aus dem Auto ausstiegen und direkt in die Hände von Hone liefen. Hone ist einer der beiden Maori-Freunde, mit denen wir im Februar 2014 gemeinsam durch Guatemala gereist waren. Die Welt ist klein in Neuseeland, die Freude war riesig und schon war die erste Essenseinladung ausgesprochen, bevor ich noch richtig angekommen war.
Auch mit Wiremu, dem anderen Freund, der uns in Guatemala besuchte, hatten wir bald ein lang erwartetes Wiedersehen. Und dann lernte ich von nun an jeden Tag neue Leute kennen. Wie ich es von Neuseeland nicht anders kannte, war es überall und mit allen Menschen ausgesprochen nett. Das Ankommen und Wohlfühlen fiel mir da denkbar leicht.
Weihnachten nahte heran und so fuhren wir von Auckland in die Gegend von Rotorua, wo wir in einem Ferienhaus am Tarewera-See gemeinsam mit Wyns engster Familie Weihnachten verbringen sollten. Es sollten sehr spezielle Weihnachten für mich werden. Nicht aufgrund des Abhandenseins des Winters (das hatte ich ja mittlerweile schon oft genug), sondern weil ich dort die Familie meiner Freundin zum ersten Mal sehen würde. Und es war dann wirklich sehr schön, wie wir dort die Weihnachten gemeinsam feierten, wie ich ganz natürlich und ohne großes Aufsehen ein Teil des familiären Geschehens sein durfte und von Jung und Alt gleichermaßen wie selbstverständlich aufgenommen und willkommen geheißen wurde. Und das alles noch dazu in einer schönen, stressfreien und natürlichen Umgebung ohne Internet, Handys, Autos etc. … wenn auch ohne Schnee und Christbaum, das waren wahrlich frohe und wohltuende Weihnachten!
Dieser Höhepunkt war kaum verarbeitet, da stand auch schon der nächste auf dem Programm. Die Tage rund um Neujahr sollten wir gemeinsam im etwas größeren (und doch noch engeren) Kreis der Familie im Marae [sprich: Marei] verbringen. Wie sehr freute ich mich, wieder auf ein Marae zu kommen! Immerhin verbrachte ich in den Gemeinschaftshäusern der Maoris meine besten Zeiten auf meinen ersten beiden Neuseelandreisen und es ist eine große Ehre und Freude, Gast auf einem Marae sein zu dürfen. Und das Marae von Wyn und damit ihre Familie weiter kennen lernen zu dürfen, das war noch einmal eine größere Freude.
Wyns Marae liegt in der kleinen, am Meer gelegenen Ortschaft Matatá in der Region „Bay of Plenty“. Benannt ist es nach einem ruhmreichen Vorfahren namens Umutahi. Während ein Großteil der Maraes jeweils von mehreren Familien gemeinschaftlich genutzt werden, ist Umutahi das Marae von nur einer einzigen Familie – der Familie von Wyns Mutter Raewyn. Dadurch herrscht dort eine lockere und besonders familiäre Atmosphäre und man fühlt sich gleich aufgenommen und wohl. Natürlich gibt auch am Umutahi-Marae das allgemeine Protokoll den Rahmen für das Zusammenleben vor, im Kreise der eigenen Familie darf es aber etwas freier und entspannter sein als normal.
Mit ca. 40-50 Leuten zusammen am Marae unter einem Dach zu schlafen, zu essen und die Feiertage zu verbringen, das war schon ein ganz spezielles und schönes Erlebnis. Auch für die anderen Anwesenden war das keine Alltäglichkeit – hatte es doch auch für die Familie der Rotas schon länger kein so vollzähliges Familientreffen am Marae gegeben. Einige Verwandte, die in Australien leben und arbeiten, waren seit vielen Jahren erstmals wieder nachhause gekommen. Wyn und ich wurden auch besonders willkommen geheißen. Die Freude war allseits groß. So haben wir sehr schöne Tage im Kreis der Großfamilie verbracht. Ich habe viele nette Menschen kennen gelernt, die Familiengeschichte studieren dürfen und auch darüber hinaus viel Interessantes über Geschichte und Kultur der Maori erfahren. Die Generationen überschneiden sich aufgrund der auch heute noch sehr kinderreichen Familien teilweise auf recht interessante Art. So war ich zuerst doch recht überrascht, als ich plötzlich von mir gleichaltrigen erwachsenen Menschen freundlich mit „Onkel“ angesprochen wurde – das waren Wyns Neffen und Nichten… Im Mittelpunkt des Familienereignisses stehen klar die Kinder (sie geben dem Geschehen am Marae erst wirklich Leben und dürfen sich auch frei und wohl fühlen – darauf wird immer wieder besonders hingewiesen) und vor allem auch die Alten, mit denen jeder die kostbare Zeit verbringen möchte. Es wurde zusammen gespielt, gesungen und musiziert, Geschichten erzählt, der „guten alten Zeit“ nachgesonnen und immer wieder gegessen…
Dass bei den Maoris gut und viel gegessen wird, ist für Insider ganz normal, an dieser Stelle muss es aber unbedingt erwähnt werden. Essen („Kai“) ist in dieser Kultur quasi allgegenwärtig und ein zentraler Bestandteil des geselligen Miteinanders. Das „Wharekai“ ist das Essenshaus und neben dem „Wharenui“ („großes Haus“ od. Ahnenhaus) eines der beiden Hauptgebäude am Marae. Im Wharekai wird das Essen nicht nur durch den gemeinsamen Verzehr zu einem wichtigen Bestandteil des Miteinanders, sondern auch durch die gemeinsame Zubereitung. Die Aktivität in der Küche geht in aller Früh los und endet erst spätabends. Im Laufe des Tages kommt jeder auch einmal in der Küche dran, ob als Chefkoch, Hilfskoch oder als Tellerwäscher. Man kommt sich dort schnell und unkompliziert näher, es wird gesprochen, getratscht und geblödelt. Und man übernimmt gemeinsam die Verantwortung für das allgemeine Wohlbefinden „des Stammes“.
Im Wharekai habe ich mich im Laufe der Tage durch eine unvorstellbar breite Palette von Speisen durchgekosten dürfen. Vor allem die Früchte des Meeres haben es mir dabei angetan und ich habe so ziemlich alles ausprobiert, was uns Tangaroa (der Gott des Meeres) so schenkt. Muscheln, Krabben, Shrimps, Austern, Langusten („Crayfish“), roher Fisch, geräucherter Fisch, Aal und den so begehrten „Whitebait“ (das sind halbdurchsichtige Fischbabys, die mit Ei oder noch besser ein bisschen Knoblauch angebraten eine wahre Köstlichkeit abgeben)…all das habe ich in verschiedenen Varianten mit Hochgenuss verspeist – bis auf den Seeigel, der hat mir nicht so geschmeckt. Eine besondere Spezialität und Stolz der Maori sind die Süßkartoffeln aus der eigenen Zucht; beliebte Gemüse sind außerdem Kamu-Kamu (eine Art Kürbis) und der süße Mais. Früchte gibt es im Überfluss, die Kiwis aus der familieneigenen Plantage waren jedoch noch nicht reif. Fleisch in allen Spielarten ist selbstredend vorhanden und sehr hoch im Kurs. Gegrillt, gebraten, aufgekocht oder traditionell auf heißen Steinen im „Hangi“ (Erdofen) gegart – nichts davon wurde ausgelassen. In Neuseeland kann auch „der kleine Mann“ essen wie ein Millionär – der reichhaltige Ozean macht es möglich und man muss nur wissen, wie man an die Köstlichkeiten rankommt. Auch was die anderen Nahrungsmittel betrifft, ist in Neuseeland alles im Überfluss und guter Qualität vorhanden – das Land kann sich mehrfach selbst versorgen und die Landwirtschaft exportiert in aller Herren Länder. Soviel zum Essen…
Die Zeit am Marae dient jedoch nicht nur dem physischen, sondern vor allem dem seelischen „Aufladen der Batterien“. Im Mittelpunkt stehen der Familienzusammenschluss und die Rückverbindung jedes Einzelnen mit dem angestammten Land der Ahnen. Wenn man sich wahrlich einlässt und sich erlaubt, den eigenen Alltagsstress herunterzufahren sowie Handy, To-Do-Listen und Terminkalender auf die Seite zu legen, wird das einfache und ruhige Zusammensein am Marae zu einer sehr heilvollen Sache für jeden und die Familie.
Das war es auch für mich. Ich erlebte das schöne Gefühl des bedingungslosen Angenommenseins und der Zugehörigkeit in einer neuen Familie am anderen Ende der Welt. Jeder hat sich wahrhaftig um den Kontakt zu mir bemüht und mir geholfen, zu einem Teil des Clans zu werden. Bei all dem wurde ich nicht ein einziges Mal gefragt, was ich oder meine Eltern beruflich machen, welcher Religion wir angehören, was ich für ein Auto fahre, und so weiter…Es zählt nur die Absicht sich echt aufeinander einzulassen und zu zeigen, dass man nicht nur das eigene, sondern auch das Wohlbefinden seiner Nächsten und der Familie wichtig nehmen kann und will. Und das sollte nach dem folgenden wichtigen Satz der Maori das Normalste überhaupt sein: „Ko au ko koe, ko koe ko au“. Auf Deutsch: „Ich bin Du und Du bist ich.“ Dieser Grundsatz wird auch wirklich gelebt.
Übrigens: Ob man weiß oder braun ist, das spielt am Marae überhaupt keine Rolle. Immerhin gibt es beinahe in jeder Maori-Familie auch einen europäischen Einschlag und die weißen Ahnen werden nicht weniger geehrt als die einheimischen. So findet man auch am kleinen familieneigenen Urupa (Friedhof) des Umutahi-Maraes Namen wie Schuster, Stoianoff, Otto, Cochrone, etc…Auch in der Ahnengalerie der Verstorbenen, die sich im Wharenui (Ahnenhaus) befindet, erkennt man teilweise typisch europäische Gesichter.
Genau dort – im mit Schnitzereien und Malereien schön verzierten Ahnenhaus – wird gemeinsam mit der ganzen Familie (den Lebenden und den Verstorbenen) unter einem Dach geschlafen und geträumt. So erhält die Familie gemeinsam den Segen, die Unterstützung und die „Downloads“ von den Ahnen. Auch das ist ein wichtiger Teil von all dem, was den Aufenthalt am Marae zu so einer speziellen Erfahrung und heilvollen Angelegenheit macht.
Die gemeinsamen Tage mit der Familie waren wirklich sehr schön für Wyn und mich, und auch sehr wichtig. Erstens, weil es sowieso für jeden Menschen gut ist Zeit am Marae zu verbringen und sich im Kreise der Familie zu erden und zu erholen. Zweitens, weil es höchste Zeit war, dass Wyns Familie und ich uns endlich gegenseitig kennen lernen konnten. Und drittens, weil schon demnächst ein gemeinsames Abenteuer und eine gemeinsame Aufgabe auf uns alle warten sollte (mehr dazu im nächsten Artikel). Wenn ich an den Jahreswechsel am Umutahi-Marae zurückdenke, dann wird mir ganz warm ums Herz und das schöne Gefühl der Zugehörigkeit berührt mich sogleich. Ich möchte allen von Herzen danken, die mich dort so liebevoll in ihre Familie aufgenommen haben. Allen, die mich so herzlich, ganz natürlich und unkompliziert zu ihrem „Son“, „Nephew“, „Bro“, „Cuz“, „Uncle“ oder einfach nur zu ihrem „Hori-George“ oder „Georgie“ gemacht haben. Tena koutou whanau!
Danken möchte ich auch meiner österreichischen “Kiwi”-Familie in Gisborne – Sue, Hubert and Kids. Wir haben uns zwar nur kurz gesehen und einen sehr schönen Tag in Mahia verbracht, aber ich weiß, dass ich auch auf Euch fern der Heimat immer zählen kann. Und der Crayfish schmeckt bei Euch besonders gut. 😉 Danke!
Das hört sich ca. so an, Aufnahme zusammen mit Uncle Tepo:
Zur Zeit habe ichviel Zeit zum Lesen Deiner Berichte. Interessant zu lesen und nun weIß ich auch, wo und wie Du die Zeit in NZL verbringst.
TAUGRÜKÜVA.
Danke für die wunderbaren Eindrücke!!! Schön, dass Du sie mit uns teilst!
Alles Liebe! T. Gitti (Auntie Gitte)