Die langen Tage von Aqaba

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Ja, da sitze ich nun fest in der Stadt, die dem rechten der beiden Wurmfortsätze vom Roten Meer, dem Golf von Aqaba, den Namen gibt. Grundsätzlich ein sehr nettes Städtchen, so sagt man, alles ist sauber und ordentlich, die Leute sehr nett. Normalerweise bevölkern hier auch zahlreiche Touristen die Straßen, derzeit ist es aber ruhig, weil kalt und eher unwirtlich.

Das alles weiß ich aber nur vom Nane, der seit Tagen in der Stadt herum strawanzt. Meine Welt sieht nämlich ein wenig anders aus. Ich liege da in meinem Hotelzimmer und höre nur die Geräusche vom Straßenleben, welches zwei Stockwerke weiter unten stattfindet und doch unerreichbar fern ist. Um 500 Uhr Früh heißt es zum ersten Mal „Allah u Akbar“, etwas später kommen die Autos, Huperei, Menschenstimmen, Handys, Rollläden rauf, Rollläden runter, Feierabend, Abendgebet…

Ein kühles Lüftchen kommt beim Fenster herein, immer wieder mal angereichert mit dem Duft von frisch gegrilltem Shawerma. Meine Mickey-Mouse-Bettdecke hält mich schön warm, nur mein geschwollener Fuß wird konstant mit Coolpacks weit unter der normalen Betriebstemperatur gehalten. Ein paar Mal am Tag kommt der Nane von seinen Spaziergängen heim, bringt was zum Essen mit und nimmt die Bestellungen für das nächste Ma(h)l entgegen. Mein lieber Freund versorgt mich super mit allem, was ich brauche, und das mit der großen Geduld und der feinen Art, die ihn so auszeichnet. Ohne seine Hilfe wäre ich hier aufgeschmissen und müsste wohl ins Krankenhaus gehen. Danke, lieber Nane! Übrigens: Beim letzten Mal, als ich in so einer Situation war, war es mein lieber Bruder und damaliger Mitbewohner Martin aka Ganse, der mir über sechs harte Wochen zur Seite gestanden ist, sein Studium gar nicht schweren Herzens ruhen hat lassen, und mir vom Essen bis zur guten Laune alles in mein Zimmer gebracht hat, wo wir gemeinsam unsere Skills an der Playstation perfektioniert haben. Danke für alles, lieber Ganse. Viel ist geschehen seit damals und es freut mich sehr, wie ich uns heute sehen darf.

Diesmal rennt alles ein wenig anders und bewusster ab als damals. Ich denke viel nach. Allerhand, was einem da so alles durch den Kopf geht…was wohl daheim gerade los ist…Familie, Freunde… die Vergangenheit, mein Weg in den letzten Jahren, Monaten und Wochen… Erfahrungen, Erinnerungen, Dankbarkeit…die Zukunft. Was wird wohl werden, für mich und den Rest der Welt?…neue Reiseziele…aber natürlich drängt sich meine derzeitige Situation auf…und dazu fällt mir einiges Interessantes ein…Ich schreibe auch viel. Vieles, was nicht auf den Blog kommt.

Mein Fuß ist noch immer sehr schmerzhaft und nur ein bisschen weniger geschwollen. Ich kann nicht auftreten und den Fuß nur wenig bewegen. Immer wieder schmiere ich, massiere, lege Eis auf, mache Umschläge, etc… Wichtig ist aber wohl die Ruhe und das Hochlagern. Sobald ich aufsitze und meinen Fuß auf den Boden stelle, hab ich einen pochenden Schmerz, dass ich fast durchdrehe.

Aber ich weiß ja schon vom letzten Mal, dass so was Zeit braucht. Also bleibe ich mal cool. Nach 3 Tagen in diesem Zimmer hab ich das Gefühl, als ob es schon mehr als eine Woche wäre. Die Zeit vergeht nur sehr langsam. Die Lektüre, die ich noch übrig hab, ist nicht besonders aufregend…dafür hab ich mich in meiner Not ein wenig mit einem Medium wieder versöhnt, von dem ich mich schon vor Jahren abgewendet habe…dem Fernsehen. Die Flimmerkiste in meinem Zimmer hat ungefähr 500 Kanäle eingespeichert. Wenn man aber zum Zappen anfängt, kommt man schnell drauf, dass der angepeilte Satellit wohl im Namen Allahs in den Orbit geschossen wurde und die arabische Fernsehwelt zwar komplett anders aber genauso einfältig ist wie die unsrige. Ca. zwei Drittel der Kanäle sind mit den Durchsagen von diversen Großmuftis und anderen bartumrandeten Radiogesichtern belegt. Der Großteil der restlichen Kanäle zeigt die arabischen Versionen von „Musikantenstadl“ und „In’s Lond eineschaun“. Eine handvoll internationale Sender hab ich dann doch entdeckt, als ich mir die Eselei angetan habe, mich durch die 500 Sender zu ackern. Euronews bringt nicht viel Neues, dennoch eine Abwechslung für mich, ich sehe Obama zum ersten Mal im TV. BBCNews detto. Der englische Movie-channel ist mein Rohypnol, wenn ich binnen Sekunden schlafen will. Doch siehe da, es gibt einen bescheidenen Hoffnungsschimmer:
MTV-Arabia. Ich mag ja das Fernsehen echt nicht so sehr, weil es einem die Zeit klaut, viel Blödsinn verzapft und mich sowieso langweilt. MTV ist in dieser Hinsicht sicher keine Ausnahme, sondern vielmehr bei vielen Blödheiten noch Vorreiter. ABER: die bunte Welt der Musikvideos mag ich bei all meiner Medienignoranz doch sehr, und ich bin ja schon lang nicht mehr up to date. Und nach 5 Monaten der harten Realität und Reisen auf staubigen Straßen kann man ein Wiedersehen mit alten Freunden wie Sean Paul, Q-Tip, Biggie, Busta Rhymes, Lauryn Hill und Aaliyah, einen Blick nach NYC oder Jamaica sowie eine kleine Dosis Scheinwelt schon mal vertragen.

Ja, so ändert sich der Maßstab…gerade bin ich noch durch die bunte Welt der Korallenriffe getaucht, über den Soukh spaziert und in der Wüste mit den kleinen Beduinen herumgetollt. Und plötzlich wird man in die Bescheidenheit gezwungen und freut sich über ein paar bunte Bilder, die über die Mattscheibe flimmern, oder eine Falafel-Pita aus des Freundes Hand…und hoffentlich bald über den ersten schmerzfreien Schritt.

Die größte Freude machen mir die aufmunternden Mails, die mir der Nane aus dem Internet ins Zimmer liefert. Mein Dank geht an alle, die mir wohlwollende und unterstützende Gedanken und Worte schicken.Für jede Form von heilsamer Energie.

Auch wenn es gerade mal nicht so gut aussieht, bleibe ich optimistisch, dass wieder alles recht wird. Denn wie mein lieber Freund Hannes immer sagt: Es ist noch immer alles recht geworden! Wo? Das werden wir dann schon sehen…

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Disneyland für Arme

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