In Fidschi ist es im wahrsten Sinne des Wortes rund gegangen, was mir eine Woche der Ruhe und Kontemplation geschenkt hat. Fidschi war aber auf meiner Reise von vornherein nur als kurzer Zwischenstopp vorgesehen, mein eigentliches Ziel im Westpazifik sollten die Solomon Islands sein, eine Gruppe von hunderten Südseeinseln, die sich östlich von Papua-Neuguinea erstreckt.
Ich hatte meinen Weiterflug von Fidschi vorab gebucht, aufgrund der Wetter- und Notsituation war es aber sehr ungewiss, ob dieser Flug auch tatsächlich planmäßig stattfinden würde, da viele Fluglinien ihre Flüge stornieren mussten. Gerade die Fluglinie meiner Wahl – Solomon Airlines – hatte alle Flüge ab Fidschi in jener Woche storniert, da eh nur ein paar Inselbewohner diese Route nehmen und die Flüge schlecht gebucht sind. Das Glück war aber wieder einmal auf meiner Seite. Denn ausgerechnet mein Flug, den ich gebucht hatte, musste durchgezogen werden, weil es darum ging, den salomonischen Premierminister von einem Staatsbesuch in Fidschi zurück in sein Land zu bringen. Also konnte ich gemeinsam mit der politischen Prominenz meines nächsten Reisezieles das verwüstete Fidschi verlassen. Soweit – so gut.
Vor einem Jahr wusste ich so wie die meisten Europäer noch nichts über die Solomon Islands, also muss ich kurz erklären, was mich dorthin gerufen hat.
Meine Freundin Delia ist Studentin auf der Boku in Wien und hatte für viele Jahre den lang gehegten Wunsch in die ferne Südsee zu reisen und einmal dem Leben in Österreich für eine Weile abzuschwören. Über eine auf der Uni ausgeschriebene Diplomarbeit, die Feldforschung im Rahmen eines langfristigen Projektes auf den Solomon Islands beinhaltet, sollte sich für sie die Möglichkeit ergeben, ihren Traum zu verwirklichen. Ich kenne Delia noch gar nicht so lange, doch wir sind über eine spannende gemeinsame Geschichte sehr verbunden, die an dieser Stelle aber keiner Ausführung bedarf. Als es für sie konkret möglich wurde, ihren Traum wahr werden zu lassen, habe ich ihr auch Mut gemacht und ein bisschen geholfen. Und es war klar, dass ich mir diese spezielle Weltgegend auch gerne anschauen würde. Da Delia einige Monate auf den Inseln verweilt und mit ihrer Arbeit in ein Projekt mit Einheimischen in ländlichen Gegenden fernab jeglichen westlichen Lebens und Tourismus eingebunden ist, könnte sich für mich eine sehr gute Gelegenheit ergeben, diesen fremden Inselstaat mit seiner vielfältigen Kultur auf authentischem Weg kennen zu lernen.
Also bin ich am Freitag vor zwei Wochen in der Hauptstadt Honiara gelandet, wo Delia ihre Basis für die Forschungsausflüge auf verschiedene Inseln eingerichtet hat. Der internationale Flughafen in Honiara hat ungefähr das Ausmaß einer mittleren Bushaltestelle. Im Flugzeug konnte ich schon feststellen, dass die Islanders sehr lockere Typen sind und viel Spaß miteinander haben, dennoch wurde ich dann von Zoll und Quarantäne strengstens kontrolliert und mein ganzes Gepäck wurde in alle Einzelteile auf einem Riesentisch ausgebreitet. Zur Belustigung aller anderen Einreisenden, die dann nach dem wieder einmal an mir statuierten Exempel großzügig durchgewunken wurden.
Delia hat mich nicht wie vereinbart abgeholt, weil sie die Information erhalten hatte, dass alle Flüge von Fidschi aufgrund des Zyklons storniert wurden – also hab ich mich via Taxi auf den Weg in die Stadt gemacht, wo wir uns mit einem kurzen Anruf einen Treffpunkt ausgemacht haben. Honiara ist zwar das politische und wirtschaftliche Zentrum des Landes, aber nur eine kleine Stadt mit ca. 100.000 Einwohnern. Das Straßenbild entspricht ungefähr dem, was man von einer tropischen Stadt in einem Entwicklungsland erwarten kann. Herabgekommene Häuser, viel Getriebe auf den dreckigen Straßen und stickige Luft. Die Solomon Islands sind eines der ärmsten Länder der Welt, wenn man sie nach den internationalen wirtschaftlichen und sozialen Maßstäben betrachtet. Was aber die natürlichen Ressourcen und die Herzen der Menschen anbelangt, findet man hier einen Reichtum, der nicht größer sein könnte. Genau den hatte Delia schon in den sechs Wochen vor meiner Ankunft voll in sich aufgesaugt, sie hat hier in vielerlei Hinsicht ein Paradies für sich gefunden und durchwegs schöne Erfahrungen gemacht – wunderbar, wenn eine Reise so ein großes Geschenk ist, ich kenne das aus eigener Erfahrung. Und so hat es mich natürlich höchst gefreut, sie dermaßen glücklich, aufgeblüht und gestärkt wieder zu sehen. Wir sind in ihre Wohnung gefahren, die sie im Haus einer Privatfamilie in der Vorstadt gemietet hat, und wo sie unter den Einheimischen wie eine von ihnen lebt. Ich habe ein kurzes Briefing bekommen, musste einmal die Lage vor Ort erfassen und mich gleich einmal auf ein paar Dinge ein- und umstellen. Aber man ist ja in Punkto Lern- und Anpassungsfähigkeit an neue Situationen ausreichend trainiert, also kein besonderer Stress.
Die Gastfamilie in Honiara ist äußerst nett, und ich habe die Zeit in den ersten Tagen gut genutzt um von den Leuten einiges über Land, Kultur und den sozialen Alltag zu erfragen, während Delia soweit möglich ihrer schon gewohnten Routine nachgegangen ist. Wie in vielen Ländern fernab Europas hat auch das Kennenlernen dieser Menschen einen Schnellkurs in die religiösen Grundsätze von einer der uns unbekannten Glaubensgemeinschaften beinhaltet. In diesem Falle die hierzulande recht verbreiteten „Seventh Day Adventists“. Die Bewohner der Salomonen sind fast zu 100 % Christen, jedoch gibt es hier neben dem uns bekannten Katholizismus wie in Südamerika erhöhten Einfluss der aus den USA stammenden Glaubensgemeinschaften, die eifrig um Mitglieder werben und für unsereins relativ undurch- und überschaubar sind. Egal, für die meisten Leute hier spielt der Glauben eine sehr große Rolle in ihrem Leben und sie bemühen sich entsprechend eifrig. Die Menschen sind unglaublich freundlich und respektvoll, man fühlt sich als Fremder sehr wohl, wird angelächelt, angesprochen aber nie genervt. Und wenn man erkennen lässt, dass man ein redlicher Mensch ist und sich noch dazu als Christ bekennt, was ich nach meinem persönlichen Verständnis trotz all meiner spirituellen Umtriebigkeiten doch noch hinbekomme, ohne dabei irgendwie lügen zu müssen, dann stehen die Türen hier noch weiter offen. Mit Geschichten vom Mayaschamanismus etc. braucht man in einem traditionellen Land wie diesem ja sowieso keinem Menschen kommen – das wäre eine Überforderung, die in Wirklichkeit nicht einmal die meisten Nachfahren der Mayas selber ertragen können. So ist das halt in den Gegenden, wo die meisten Menschen froh sind, dass die magischen Machenschaften und die brutalen Stammesfehden der Vorfahren vom Christentum abgelöst wurden. Und das liegt hierzulande gerade ein paar wenige Generationen zurück. Das Land hat entsprechend der vielen Inseln eine unglaubliche Vielfalt von Stämmen und genauso bunt scheint wohl das Treiben in der Spiritualität und dem damit verbundenen Brauchtum gewesen sein. Wie dem auch sei, die Menschen ehren ihre Vorfahren, sie haben Respekt und noch mehr Angst vor den Praktiken der vergangenen Zeiten. Jedoch ist auch klar, dass das lokale spirituelle Erbe nach ein paar Jahrzehnten Christentum trotzdem in die Gegenwart hereinwirkt.
Well, ich war wie immer behutsam beim Betreten einer neuen Umgebung und hab einfach mal alles auf mich zukommen und wirken lassen und nach Indianermanier genau beobachtet, was sich da rundherum so alles bewegt. Nichts außergewöhnlich Spektakuläres, aber dennoch wie immer interessant und aufschlussreich, wenn man die diversen Sinne offen hat. Die eigene innere Bewegung war nebenbei in einem höheren Maß gegeben, aber sehr positiv und sich in meinen weiteren Kontext dieser Lern- und Erfahrungsreise schlüssig einfügend.
Die ersten Tage in Honiara waren auf diese Weise sehr kurzweilig und schnell vergangen. Ich habe mich in den Straßen und unter den Leuten recht wohl gefühlt. Die großteils melanesische Bevölkerung weckt meine Erinnerung an die ähnlich aussehenden Menschen der Karibik und Afrikas und die große Sympathie, die ich zu ihnen auf meinen Reisen gewonnen habe. Polynesier gibt es hier auch, und die hab ich seit meiner Zeit bei den Maori sowieso ins Herz geschlossen. Mit dem einfachen Leben habe ich kein Problem. Hier rennt mit den Menschen alles viel stressfreier ab als auf vergangenen Reisen in arme Gegenden , sehr angenehm, selbst in der Stadt. Nach drei Tagen der Akklimatisierung war ich dann aber auch froh, als es von Honiara ins Land hinaus gehen sollte.