Von den Hopis fuhren wir direkt weiter in den Bundesstaat New Mexiko, an die östliche Grenze des Navajo-Reservates. Dort sollten wir jene Navajo-Familie treffen, mit der Phil seit Jahrzehnten sehr verbunden ist. Schon am Weg dahin erreichten uns via Handy diverse Anweisungen von der Familienchefin Julie. Bei den Indianern haben ja angeblich sehr oft die Frauen das Familienzepter in der Hand. Im Fall von Julie ist es ohnehin noch einmal etwas anders, da ihr Mann Al, der ein sehr guter Freund von Phil war, schon in jungen Jahren verstarb und sie dadurch alleine für ihre fünf damals noch sehr kleinen Kinder sorgen musste.
Wir haben Julie und einen Teil ihrer Familie in der Stadt Window Rock getroffen und sind dann von dort gemeinsam weiter zu ihrem Haus in Gallup gefahren, das in einem sehr netten Viertel mit Blick auf die berühmte Route 66 liegt. Das große Haus bietet viel Platz und so hat man mir für die Zeit unseres Besuches ein Zimmer gegeben, während Phil es vorzog in seinem fahrbaren Heim zu bleiben. Da ich meine langen Beine im Schlaf nach Möglichkeit doch gerne ausstrecke, war ich sehr dankbar für dieses Angebot. Es war nie ausgesprochen, wie lange unser Besuch dauern sollte, jedoch war im ersten Briefing schon klar, dass es in der Umgebung sehr viel zu sehen und erleben gäbe und dass wir diese Gelegenheit gut nutzen sollten.
Phil war froh, dass er seine Navajo-Familie nach zwei Jahren wiedersehen konnte, es gab von beiden Seiten viel zu erzählen. Ich durfte mich über viel Gastfreundschaft und neue Bekanntschaften freuen. Im Haus herrschte durch die Anwesenheit von ca. 12 Leuten aus drei Generationen eine Dynamik, an die ich mich erst etwas gewöhnen musste. Ein gewisses Chaos sei normal, wurde mir mit einem Lächeln mitgeteilt, und jeder kommt auf seine Weise damit zurecht. Ich hab mich gleich einmal recht wohl gefühlt und besonders die Kinder, die so genannten „Little Ones“ sind mir gleich sehr ans Herz gewachsen. Die beiden Hündchen, zwei Chihuahuas, dafür umso weniger. Die haben mich nur böse angeknurrt und angekläfft, und das sollte sich bis zu unserem Abschied nicht wesentlich ändern. Was soll´s, man kann ja nicht mit allen “Four-leggeds” befreundet sein und damit kann man wohl leben.
In den folgenden Tagen sollte ich einen guten Eindruck von der Bandbreite des Lebens einer Indianerfamilie zwischen Tradition und moderner Welt bekommen. Ausflüge zur Familie ins Reservat, Holzschneiden in den Bergen, die Präsidentenwahl, Halloween, usw. – ein buntes und vieldimensionales Geschehen.
Mit Phil habe ich ein paar Trips in Indianerdörfer der verschiedenen kleineren Pueblo-Stämme (Zuni, Acoma, usw.) in der Umgebung gemacht und auch ein paar heilige Plätze besucht. Leider waren wir von der Jahreszeit her ein bisschen zu spät dran, um die vielen bunten Feste in den Pueblo-Dörfern mit verfolgen zu können. Besonders in New Mexico findet man eine große Vielfalt an Volksstämmen und Kulturen. Was mich neben der immer wieder atemberaubenden Landschaft sehr beeindruckt hat, ist das ausgefeilte und hoch entwickelte Kunsthandwerk der Indianer. Unglaublich, was man da in den Geschäften und Galerien so alles an geschmackvollen Dingen sieht, und auch unglaublich, welche Preise die aufwendigsten Stücke dabei erzielen. Auch die verschiedensten Talente in Julies Familie haben mich sehr beeindruckt. Es gibt kaum etwas Schönes, was man in den Geschäften sieht, das nicht irgendwer aus der Familie auch herstellen könnte. Julie selber war ihr Leben lang in punkto Kunsthandwerk kreativ und ist eine wahre Expertin.
Ein wahrer Höhepunkt war der Besuch im Chaco Canyon, einem spirituellen Zentrum, das für viele Stämme des Südwestens eine übergeordnete Relevanz hatte und schon vor der spanischen Conquista verlassen wurde. Es wurden dort Artefakte aus weiten Teilen Amerikas gefunden, bis hin zu Papageienfedern, die klarerweise aus dem fernen Süden gebracht wurden. Besonders beeindruckend sind die Ausmaße und die Anzahl der großen Kivas, der unterirdischen Heilungsräume. Zwischen den alten Mauern dieses alten Platzes spürt man förmlich die Gegenwart des vergangenen Geschehens.
Es war besonders schön, wie mich Julie und die anderen zu einem Teil ihrer Familie gemacht haben. Und mit Familie ist bei den Indianern mehr gemeint als eine isolierte Zelle von vier bis fünf Personen, da hat man gleich ordentlich zu tun um sich die vielen neuen Namen zu merken. Man geht gleich gemeinsam durch dick und dünn und so werden auf ganz authentische Art Herzensbrücken gebaut. Julie hat mir eines Abends ihre bewegte Lebensgeschichte erzählt. Unglaublich und sehr berührend, wie sie ihren Weg mit so viel Hingabe und Kraft gegangen ist, wie sie ihre Kinder unter größten Anstrengungen mit allem Nötigen bis hin zum Universitätsabschluss versorgt hat, und wie ihr Leben in den verschiedenen kulturellen und sozialen Spannungsfeldern verlaufen ist.
Eine besonders intensive, schöne und höchst emotionale Erfahrung war für mich, als ich bei einer traditionellen Zeremonie mit Teilen der Familie draußen in der Wüste inmitten des Reservates dabei sein durfte. Eine ganze Nacht im Tipi , gefüllt mit Gesängen und Gebeten und den Teachings der Ältesten – mit der Bitte um Schutz für Julies Sohn und meinen gleichaltrigen Navajo-Bruder Sean, der bei den Marines ist und in den nächsten Tagen eine neunmonatige Mission in Afghanistan antreten muss. Ein starkes Ritual, wenn sich ca. 25 anwesende Menschen mitsamt ihrem gemeinsamen und jeweiligen geistigen Umfeld im zeremoniellen Rahmen unterstützend hinter ein Familienmitglied stellen. Jeder bringt durch sein Durchhalten in der anstrengenden Zeremonie und den Verzicht auf den Schlaf einer Nacht sein persönliches kleines Opfer und im gemeinsamen Gebet aktiviert man die Kräfte für ein Anliegen – in diesem Fall den Schutz und die Hilfe für Sean. Mögen die guten Geister mit ihm und seiner Familie sein. Die Zeremonie hat auch auf mich persönlich eine sehr starke und heilsame Wirkung gehabt, die gute Energie hat angehalten und lässt sich auch Wochen danach noch unmittelbar aktivieren. Wer ein Gefühl für die Klangkulisse im Zelt bekommen will: das hier zum Beispiel kommt meiner Erinnerung recht nahe: http://www.youtube.com/watch?v=-r3rRbaxlIE Es war eine unvergessliche und starke Erfahrung und für mich als einziger anwesender Weißer eine große Ehre bei dieser Zeremonie dabei sein zu dürfen – das wurde mir auch so klar gemacht. Und tatsächlich vergehen sich im Fall dieser speziellen Zeremonien beide Seiten gegen das Gesetz und können auch streng dafür bestraft werden, wenn Nichtindianer zur Teilnahme an der Zeremonie eingelassen werden. Das habe ich aber erst nachträglich erfahren. Danke umso mehr und ich wäre jederzeit wieder dabei, wenn sich eine Einladung ergeben würde.
Am letzten Tag in Gallup bin ich noch mit Seans Schwester Jamey zum Pfeilspitzensuchen in die Wüste gegangen. Es gibt einen Platz (wohl Schauplatz einer lange vergangenen kriegerischen Auseinandersetzung), wo man mit besonders viel Glück im Wüstensand uralte, von Hand gemachte Pfeilspitzen aus Feuerstein finden kann. Wir waren sehr glücklich und haben zwei Spitzen gefunden. Die Anzahl sowie die Kombination von Form und Farbe der gefundenen Spitzen lassen sich von eingeweihten Menschen deuten, und so haben wir von Julies Schwester danach eine kleine Interpretation unseres Fundes bekommen. Die Pfeilspitzen durfte ich als Geschenk mitnehmen und sie begleiten mich jetzt auf meiner Reise und schenken mir viel Kraft und Freude. Ein schönes Andenken an eine schöne Zeit. Danke Jamey.
Es war letztendlich unglaublich, wie schnell die Zeit mit Julies Familie vergangen ist, zehn Tage hat unser Wohnmobil vor ihrem Haus in Gallup gestanden und plötzlich mussten wir wieder weiter reisen. Danke der ganzen Familie rund um Julie. Und danke an alle anderen Menschen, die uns dort so freundlich begegnet sind.
Nur ein paar Stunden Fahrt und eine letzte Übernachtung im Wohnmobil auf dem Weg nach Phoenix/Arizona. Dort ging der gemeinsame Roadtrip mit Phil nach dreieinhalb aufregenden Wochen zu Ende und ich flog Richtung Süden ab. Dabei war ich sehr dankbar für die schöne Zeit, die hinter mir lag. Danke Phil, mein lieber Freund, für unsere Freundschaft und dass er du so viel von deinem Schatz mit mir geteilt hast. Die Wochen mit den Indianern haben mir ein gutes Gefühl für das Kraftfeld in Nordamerika gegeben. Für die Menschen und ihr schönes Herz, ihr Verbindung zur starken Tradition und auch für die Herausforderungen und Leidensgeschichten. Es liegen Erfahrungen hinter mir, die keine Worte beschreiben können. Fotos können das auch nicht , noch dazu wenn man kaum welche machen darf. =) Hier sind dennoch ein paar, wie schon in den vergangenen Artikeln hauptsächlich ohne Menschen.
Lieber Jörg, habe erst jetzt bemerkt, dass es wieder etwas zu lesen gibt …
auch interessant, über die Navajos zu erfahren, wie sie so leben!
Tolle Bilder aus dem Canyon!
Alles Gute muma