Von Addis nach Lalibela…

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…oder: “Die Entdeckung der Langsamkeit”

In Addis haben wir uns erst mal wieder kultiviert und erholt. Ausserdem haben wir unsere Freundinnen von der katholischen Mission aus Arba Minch getroffen, die in Addis was zu erledigen hatten. So katholisch sind die ja bekanntlich gar nicht, und wir sind zuerst gut essen und dann ordentlich tanzen gegangen.  

Nach 2 Tagen waren wir bereit zur Weiterreise, schliesslich wollten wir am 24 Dezember zum Heiligen Abend in Lalibela ankommen, dem wichtigsten Wallfahrtsort der orthodoxen Aethiopier und wohl wichtigsten Ort der Christenheit auf dem schwarzen Kontinent. Lalibela wird auch das Jerusalem Afrikas genannt und ist fuer seine wunderbaren Felsenkirchen bekannt. Dort sollte die Reise hingehen…

Also wieder mal an den Ort des Wahnsinns marschiert, Buskarten fuer den naechsten Tag kaufen am Busbahnhof von Addis. Wenn man dort ankommt, reissen gleich zig Typen am Aermel und schreien einen an mit “Where are you go!!??” Dann sagt man kleinlaut “Lalibela” und das Geschreie geht weiter. Am Weg zum Ticketschalter wir man von den Typen begleitet, die dann nach erledigtem Kauf alle ein Trinkgeld haben wollen , weil sie einem ja geholfen haetten, und volle beleidigt sind, wenn sie berechtigterweise keines bekommen. Mann, das nervt vielleicht!!

Am naechsten Morgen sind wir mit dem Taxi um 430 zum Busbahnhof. Der Taxifahrer ist voll nett und freut sich wie jeder in Aethiopien , dass wir Giyorgis (ich, der Nationalheilige hier ist ja der heilige Georg) und Marcos (Markus aka Nane, der Evangelist) heissen und offensichtlich gute Christen sein muessen.

Ausserhalb des Taxis kennt der Wahnsinn und das Chaos keine Grenzen, ueberall wuselt es vor Menschen, das Gedraenge am Busbahnhof ist irre, schliesslich gehen ja alle Busse in der Frueh zur selben Zeit los. Wieder wir am Aermel gezerrt (“Where are you go??) und jeder moegliche Grund fuer ein Trinkgeld inszeniert.

Schliesslich landen wir beim Bus. Ich besetze und verteidige drinnen einen Sitzplatz fuer uns, waehrend der Nane draussen beim Poebel in der Reihe steht und wartet, bis einer unser Gepaeck aufs Dach ladet. Nach einer Stunde schreit mich einer an, dass wir im falschen Bus waeren und rausmuessten. Also wieder raus, ein anderer Bus faehrt daher und parkt ein. In der Nebelwolke der Abgase erkennt man sein Gegenueber kaum und man erstickt fast. Wieder die selbe Prozedur diesmal ich draussen und der Nane drinnen. Schutzgeld fuer das Gepaeck gezahlt und rein in den Bus. Drinnen ist ein irres Gedraenge von Fahrgaesten und diversem Gesocks, das bettelt, predigt , Leute verabschiedet,… jeder nimmt sich seinen Platz, auch wenn keiner mehr da ist. 

Schliesslich geht die Fahrt los, sehr langsam durch die Satdt raus und auch darueber hinaus. Die ersten 4 Stunden sind eine einzige Baustelle (s werden viele Strassen asfaltiert in Aethiopien) , holprig und staubig bis dorthinaus. Eine echte Tortur, dafuer aber langsam und sicher, sehr langsam! Wir fragen uns, wie wir in den veranschlagten 2 Tagen unser 650 km entferntes Ziel erreichen sollten. Schliesslich schlafen wir wieder ein wenig ein und wachen gerade rechtzeitig aus, als dem ueber unsere Rueckenlehne gebeugten Kind von hinter uns die Speibe aus dem Mund quillt, direkt auf Nanes Sitz. Damit war ja zu rechnen, der Boden war ja schon kurz nach Fahrtbeginn vollgekotzt worden. Die beiden Maenner, die das Kind mit auf der Reise hatten, hatten wohl davor nicht gewusst, dass man einem Kleinkind vor einer tagelangen Busfahrt keine Spaghetti zum Fruehstueck verabreichen sollte…

Der Nane war vielleicht sauer, gut dass es eine fahrtunterbrechung mit Pinkel- und Fruehstueckpause gab. Diese nutzten wir fuer ein kaltes Cola. Die anderen Leute frassen wie die Wilden hinein, was uns schon etwas zu denken gab. Schliesslich sorgte die kurvenreiche , holprige Strecke schon auf den ersten Kilometern dafuer, dass ein kollektives Kotzen losging, und das ganze Essen fein angesaeuert wieder zu Tage kam. Ein paar hatten den Anstand, aus dem Fenster zu Kotzen, andere rissen nur ihr Maul auf und haben losgelassen (das “loslassen” ist ja modern). Einer kotzte erst ewig lang herum, dann hat er sein Gewoelle auf Druck der Mitreisenden mit seinem eigenen Pullover aufgewischt und diesen dann in seinem Gepaeck verschwinden lassen. Der Geruch spottet jeglicher Beschreibung. Doch alle waren wieder guter Stimmung. So eine kleine Krise ist auch fuer die Menschen hier leicht zu ertragen, die sind anderes gewoehnt und auch der Bus bleibt nicht stehen, nur weil ein Drittel der Leute mit der Kotzerei beschaeftigt sind.

Am Abend kamen wir in dem kleinen Nest Dessie an, wo die Nacht verbracht wurde, bevor es am naechsten Morgen wieder weiterging.

Wir  goennten uns ein kleines Fresschen, leider mit sehr schmutzigem Salat garniert. Das veranlasste uns zu einem Besuch einer schmutzigen Schluckbude, wo sich die betagteren Locals gepflegt zwischen gestapelten Bierkisten ein Raeuschchen ansaufen. Wir bestellten einen doppelten Whiskey der Marke Spiritus zur Desinfektion und ein St. George Bier dazu. Dann ab in die Falle, die wir uns mit diversen Parasiten teilten, wie sich in der Frueh herausstellen sollte.

Geweckt wurden wir um 430 durch das wilde Gebruelle, das vom nahe gelegenen Busbahnhof bis in unsere fensterlosen Kaemmerchen schallt. Dort war der Mob schon wieder in voller Aufregung und das Gedraenge um die Sitzplaetze in den Bussen im Gang. Wir putzten uns wieder mal trocken die Zaehne und hetzen aus dem Gaus, damit wir nicht auf der Strecke bleiben wuerden.

Im Bus registrierten wir, dass eine alte, zahnlose , und mit einem eisernen Kreuz bewaffnete Nonne unseren Sitzplatz eingenommen hat. Gottseidank hatten wir den anderen Fahrgaesten am Vortag mit Klopapier zum Speibewischen ausgeholfen, und so hatten wir einige Verbuendete an unserer Seite, die die Nonne mit viel Gezanke und trotz erbitterten Widerstandes auf einen anderen Platz vertrieben. Die Verwuenschungen der Alten gegen uns Ferenji konnte man foermlich im Nacken spueren…

Nicht nur die Nonne, sondern auch zahlreiche andere Glaubensbrueder und-schwestern zeigten uns, dass die Fahrt in Richtung eines heiligen Ortes weiterging. Von den noch eher urban wirkenden Leuten vom Beginn der Fahrt verschwanden immer mehr, und im Laufe der Fahrt fanden wir uns in einem Bus wieder, der vollgestopft war mit Pilgern. Fast alle waren uralt und sahen extrem ausgezerrt aus. Sehr arme Leute, eingewickelt in dreckige Lumpen, fast wie die Aussaetzigen im Film “Ben Hur”. Man sah auch, dass es den wenigen moderneren Menschen nicht passte, was fuer ein Voelkchen da den Bus eingenommen hatte. Die Alten schienen, als wuerden sie mit letzter Kraft einen letzten Weg an einen heiligen Ort antreten. Spindelduerre Glieder, ausgezerrte doerrpflaumenartige Gesichter. Wir hatten aber Respekt, immerhin wissen wir, wieviel diese Menschen im Lauf der Jahrzehnte alles durchgemacht haben. Die schweren Hungerskatastrofen der 70er und 80er, die Unterdrueckung durch die Kommunisten, Krieg und Elend…unvorstellbar! Und dennoch erwidern sie unser Laecheln, waehrend wir es nicht lassen koennen, unsere Kameras rauszuholen und die atemberaubende Gebirgslandschaft auf Speicherkarte zu bannen.

Irgendwann nach 650 km und ca 28 Stunden Fahrt (die Durchschnittsgeschwindigeit kann sich jeder selber ausrechnen) in 2 Tagen waren wir aber froh, dass wir in Lalibela ankamen. Die Fahrt war das extremste und entbehrungsreichste bisher, hart und erschoepfend. Ausgehungert und muede stiegen wir aus…”so wie es sich fuer Pilger gehoert”, dachten und fuehlten wir. Anders als die anderen Pilger, die sich ihr Lager irgendwo im Freien aufbauten, sind wir in ein Hotel gegangen. Diesmal sollte es nicht die unterste Kategorie sein, da Heilig Abend war und wir keine Lust auf ein Krippenspiel hatten. Wir fanden was adaequates, das Feeling von Bethlehems Stall blieb uns aber doch nicht erspart, weil im ganzen Ort und so auch im Hotel kein Wasser war. Also gingen wir in unseren stinkenden Klamotten zum Weihnachtsmale. Dieses war ordentlich, wir assen bei Kerzenschein und Lagerfeuer auf einer grosszuegigen Terrasse. Ein wuerdiger Rahmen. Wir liessen unsere Gedanken und liebevollen Gefuehle heim zu unseren Lieben schweifen und stellten uns vor wie diese ganz nach Tradition feiern wuerden. Fuer uns war es ein schoener Abend und wir gingen zufrieden aber verdreckt ins Bett, voller Erwartung auf das, was wir in den naechsten Tagen an diesem Ort zu sehen bekommen wuerden. Frohe Weihnachten!

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2 Gedanken zu „Von Addis nach Lalibela…

  1. muma

    Lieber Jörg,lieber Nane!
    Danke für eure berichte, kein foto könnte unsere fantasien mehr beleben als eure sehr bildhafte sprache, ihr übertrefft einander gegenseitig! ja, nicht nur bilder entstehen beim lesen, ich stelle fest: ein erlebnis mit allen sinnen- ohr, nase geschmack…alles wird angeregt und ist versucht, auf gleiche weise zu agieren bzw. zu reagieren! einfach köstlich und beklemmend zugleich. für uns, die wir hier in fülle und überfluss weihnachten und neujahr feiern, grund genug, eure zeilen nicht nur einmal zu lesen bzw. zu visualisieren, sondern mehrmals!
    wir wünschen euch für eure nächsten vorhaben alles gute, wohlwollende menschen und euch beiden weiterhin ein so gut funktionierendes miteinander!
    lebt wohl mit den besten segenswünschen aus der heimat!
    in liebe muma und vati

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  2. Tante Gitti

    Lieber Jögl und Nane! Wahrlich, Eure Berichte sind großartig, man ist “wirklich” voll bei Euch!!!
    Weiterhin alles Liebe und viel Interessantes!
    Where are you go??? Die besten Wünsche fürs Jahr 2009! T. Gitti

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