Dies ist die Geschichte einer sehr emotionalen Zeit und dreier großer Ereignisse, die jeweils einer eigenen Geschichte würdig wären. Die zeitliche Dichte der Geschehnisse macht es aber beinahe erforderlich, diese in einer einzigen Geschichte unterzubringen…
Knapp vor Weihnachten machte ich mich wieder einmal auf den Weg nach Neuseeland. Diesmal mit einem ganz speziellen Gefühl, denn ich würde definitiv nicht als derselbe Mensch zurückkommen. Immerhin waren für diese Reise gleich zwei lebensverändernde Ereignisse auf dem Plan: unsere Hochzeit mit Wyn und nicht viel später die Geburt unseres Sohnes.
Soviel sei gleich an dieser Stelle gesagt: die Hochzeit war sehr gelungen und wir haben wenig später plangemäß einen gesunden Prachtjungen geschenkt bekommen. Und ob das nicht schon aufregend genug gewesen wäre, kam alles noch einmal in einer ganz anderen Intensität, wie selbst ich sie nicht gekannt habe. Darum bedarf es hier einer etwas längeren Rückschau auf alles…
UNSERE HOCHZEIT
Spätestens wenn man erst einmal verlobt ist, beginnt man sich Gedanken zu machen, wie und in welchem Rahmen man denn gerne heiraten möchte. Bei allen Möglichkeiten, die es heutzutage so gibt, war für Wyn und mich von vornherein klar, dass wir auf alle Fälle zumindest unsere beiden engeren Familien mit dabeihaben möchten, da es ja auch um die Verbindung der beiden Familien geht. Da die „enge Familie“ von Wyn ca. zehnmal so zahlreich ist wie meine, lag es beinahe auf der Hand, dass wir in Neuseeland heiraten möchten. Auch konnte ich mir nur zu gut vorstellen, dass eine Maori-Hochzeit auf dem Marae eine nettere, unterhaltsamere und aufgrund der traditionellen Kultur auch eine festlichere Angelegenheit sein würde als das, was bei uns in Österreich landläufig so üblich ist.
Um die Hochzeitsorganisation vor Ort hat sich größtenteils Wyn zusammen mit ihrer Familie gekümmert. Die Maori sind es ja gewohnt, große Anlässe auf ihren Maraes (Stammesgrund mit Ahnenhaus und Speisehaus) abzuwickeln und da hat so ein jeder seine Kompetenzen. Köche, Dekorateure, Musiker, Zeremonienmeister, etc…alles gibt es in Mehrfachbesetzung. Sogar die familieneigenen Standesbeamten wurden bestellt. Die Voraussetzungen waren also gut, alles relativ zackig auf Schiene gebracht und alle bald mit Freude bei der Sache.
Ich selbst habe auch meinen Teil organisiert und eingebracht: die Anreise meiner Familie (Eltern und Schwester) und Freunde (meine 2 Trauzeugen samt Familien) aus Österreich sowie die „Bespaßung“ derselben als Vorprogramm zum großen Fest. Bevor auch wir tatkräftig bei den letzten Vorbereitungsarbeiten mitgeholfen haben, konnte ich mit unseren Gästen von zuhause noch ein kleines Besichtigungsprogramm in der näheren Umgebung verwirklichen. Natur und Maorikultur standen auf unserem Programm und unsere Familie und Gäste waren sehr angetan.
Gegen Ende der Vorbereitungen wird es vor einem Großereignis immer stressig, das liegt in der Natur der Sache. Kleine unvorhergesehene Pannen und Planänderungen sind ohnehin vorprogrammiert und gerade dann sind die Maoris besonders gut im Improvisieren und Problemlösen. Alles lief also sehr gut und zur Freude aller.
Mit einem hatten wir dann aber doch nicht gerechnet… Die Gesundheit von Mum, meiner Schwiegermutter, war schon seit ein paar Wochen nicht gerade die beste gewesen. Ausgerechnet zwei Tage vor unserer Hochzeit hatte sie dann einen Zusammenbruch und musste auf die Intensivstation. Wir fuhren mit einem großen Teil der Familie ins Krankenhaus und die Hochzeitsvorbereitungen traten erst einmal in den Hintergrund. Den Ärzten war anfangs nicht viel Optimismus ins Gesicht geschrieben und so mussten wir uns sogar mit dem Gedanken auseinandersetzen, die Hochzeit zu verschieben. Der Zustand von Mum stabilisierte sich jedoch rasch und die Ärzte sagten uns sicher zu, dass die Lebensgefahr erst einmal gebannt sei. Also entschlossen wir uns mit der Hochzeit fortzufahren.
In Neuseeland ist ja auch im öffentlichen Bereich alles auf die Bedürfnisse von Familien ausgerichtet. Trotzdem war ich etwas erstaunt, als uns der Arzt auf der Intensivstation nach der Besprechung von Mums Lage vorschlug, einen Teil unserer Hochzeit ebendort abzuhalten. „Kommt nicht in Frage.“ habe ich gleich gesagt, alleine schon wegen meiner Grundabneigung gegen Krankenhäuser. Wie ich später aber herausfand, fand Wyn den Vorschlag aber ganz gut, ihre Mutter in dieser Form teilhaben zu lassen, und sie hatte auch schon weiter darüber nachgedacht. Die Standesbeamten (eine von Wyns älteren Cousinen und ihr Mann) wären auch gerne dazu bereit. „Also sollte es so sein.“, sagte ich, solange das nur den standesamtlichen Teil betrifft und nicht eine Absage des Programmes am Marae mit sich bringt. Für uns war es ja dann doch eine Herzensangelegenheit, dass wir es Mum als engster Vertrauten von Wyn und „Chefin“ des ganzen Clans auch ermöglichen, zumindest einen kleinen Teil unserer Hochzeit mitzuerleben, auf die sie sich so gefreut hatte. Dazu muss ich auch sagen, dass mich Mum von Anfang an mit ganzem Herzen in die Familie aufgenommen hatte und mich immer so gut behandelt hat wie einen eigenen Sohn.
Die Vorbereitungen am Marae wurden zeitgemäß abgeschlossen und das Speisehaus ordentlich herausgeputzt. Die ganze Nacht wurde von einer großen Mannschaft in der Küche durchgekocht und am Hochzeitsmahl gearbeitet. Wir machten uns schon am Vormittag in voller Hochzeitsmontur mitsamt Entourage auf den Weg ins Krankenhaus, wo schon alles für eine kleine standesamtliche Hochzeit hergerichtet war. Eine seltsame Szenerie weit abseits von den idealen Vorstellungen vom „schönsten Tag des Lebens“ (Gottseidank war ich da eh nicht ganz so verklärt, was das angeht.) Mum war sichtlich wohlauf und schon sehr gerührt, als wir zu ihr kamen. Die anderen Patienten auf der Station sowie das gesamte Personal waren auch alle – sogut sie konnten – „in Position“ gegangen um etwas von dem nicht alltäglichen Ereignis mitzubekommen. Der fast schon bizarre und doch eher unromantische Schauplatz trat dann für uns gleich in den Hintergrund, als die Standesbeamten die Zeremonie eröffneten. Der Austausch der Eheversprechen und der Ringe war sehr schön und bewegend für alle. Nachträglich gesehen sehr stimmig und auch wichtig, dass wir diesen ersten und doch auch zentralen Teil unserer Hochzeit an diesem ungewöhnlichen Ort gemacht haben. Es wäre auch am idealsten Traumplatz nicht schöner gewesen und es war für uns eine sehr starke Erfahrung, dass die Umgebung anscheinend ganz und gar keine Rolle spielt. Im Gegenteil: Was zählt, sind die Herzensangelegenheit selbst und das geliebte menschliche Umfeld. Die hätten auch der schönste Traumstrand und das schönste Hotel mit allem Drum und Dran niemals ersetzen können. Ich bin mir sicher, dass unsere Hochzeit für alle Anwesenden ein unvergessliches Ereignis war, selbst das Krankenpersonal war offensichtlich gerührt.
Vom Krankenhaus ging es mit einer kurzen Verschnaufpause weiter zum Marae, wo schon viele Gäste auf uns warteten, obwohl wir aufgrund des ungewissen Gesundheitszustandes von Mum den Rahmen kurzfristig etwas kleiner festgelegt hatten. Da wir rein rechtlich ja schon verheiratet waren, wurden wir gemeinsam als Eheleute mit einer sehr zünftigen Willkommenszeremonie mit vollem Protokoll auf das Marae gerufen – inklusive einem ordentlichen Haka, dem berühmten Maori-Kriegstanz zu unseren Ehren. Es gab ausführliche Ansprachen und Gebete von den Ältesten. Besonders freute mich dabei, dass meine Adoptiv-Familie aus Ruatahuna (http://ambestenweg.net/?p=3750), dem Herzland der Maori, mich und meinen Hochzeitszug mit all ihrer Liebe und ihrer traditionellen Autorität auf das Marae führten.
Nach der Willkommenszeremonie gab es eine Wiederholung der Ringzeremonie und danach ein ordentliches Festmahl im schön dekorierten Wharekai (Speisehaus), kurzweilig begleitet von Unterhaltung und diversen Ansprachen. Danach hatten wir eine sehr nette Party mit einer uns bekannten lokalen Reggaeband. Alles war sehr feierlich und echt gut gelungen…
Und so ist man dann plötzlich verheiratet. So sehr man vielleicht glauben würde, dass das ja eh nicht so viel ändert, tut es das doch irgendwie. Für mich bedeutete unsere Hochzeit zudem auch die offizielle Aufnahme in den Stamm, was für die Maori auch heutzutage noch eine große Sache ist. Das spürt man auch.
Die zwei Tage nach der eigentlichen Hochzeit verbrachten wir noch alle auf dem Marae beim Aufräumen und Nachfeiern. Eine Hochzeitsreise hatten wir an sich eh nicht geplant. Erstens, weil wir ja sowieso das ganze Jahr über viel auf schönen Reisen sind, und zweitens, weil ja die Geburt unseres Babys nicht mehr so lange auf sich warten lassen sollte.
An den Tagen nach der Hochzeit schauten wir immer wieder mal bei Mum im Krankenhaus vorbei. Ihr Zustand hatte sich ein wenig stabilisiert und sie wurde sogar aus der Intensivstation entlassen. Wir zeigten ihr Fotos und Videos von der Hochzeit, erzählten alles und lachten miteinander. Obwohl wir wussten, dass Mum wohl nie wieder ganz fit werden würde, hatten wir zumindest viel Optimismus, dass sie bald wieder zuhause sein wird können. Doch es sollte ganz anders kommen…
ABSCHIED VON MUM
Eines Morgens veränderte sich der Zustand von Mum rapide, sie war nur noch teilweise ansprechbar und sank bald in eine Art Koma. Akutes Organversagen. Nur einen Tag später gaben die Ärzte den Kampf um ihr Leben auf. Mum wurde nur noch schmerzfrei gehalten und auf ein großes Zimmer überstellt, wo genug Platz für Familie und Besucher sein sollte. Auch da zeigte sich das Krankenhaus der Familie gegenüber sehr großzügig. Man konnte 24 Stunden dort bleiben und aus- und eingehen, es wurde für die Angehörigen sogar ein kleines Matratzenlager im Krankenzimmer geschaffen. Je mehr Leute erfahren hatten, dass es Zeit wurde von Mum Abschied zu nehmen, umso voller wurde es im Krankenzimmer. Wyn als engste Angehörige und Vertraute blieb stets an Mums Seite und kommunizierte mit ihr die ganze Zeit hindurch. Es wurde zusammen mit der Familie auf Mum geschaut und gemeinsam gegessen, geschlafen, gesungen, gebetet, Geschichten erzählt und alles Mögliche gemacht, was Mum immer so gerne hatte und erfreut hätte. Und manchmal gab es auch noch kurze, kostbare Wachmomente von ihr. Für mich und meine österreichische Familie war es eine ganz besondere Erfahrung, an einem Sterbeprozess mit Einbindung der ganzen Familie teilhaben zu dürfen, auch wenn einiges davon zuerst ein bisschen unverständlich und seltsam erscheint. Wie immer wird bei den Maoris auch in so einer Situation die Anwesenheit von Mitmenschen nie als Störung, sondern ausschließlich als Segen empfunden. Ein gravierender Unterschied zu unserer Welt des überzelebrierten Individualismus. Hier ist es ganz normal, dass ein Mensch im Sterben nicht alleine gelassen wird, und man möchte sicher sein, dass auch der letzte Augenblick im Kreise der geliebten Familie verbracht wird. Zeitweise waren bis zu 40 Leute im Krankenzimmer. Von kleinen Kindern bis zu den Ältesten wurde diese Zeit des Abschiedes trotz aller Traurigkeit gemeinsam zelebriert. Für mich war es ohnehin das erste Mal, dass ich einen geliebten Menschen im Sterben mitbegleiten durfte. Eine sehr zentrale Lebenserfahrung.
Das Ganze zog sich über einige Tage hin und ich musste dabei sehr darauf schauen, dass sich Wyn nicht zu sehr verausgabt und auch genug Schlaf bekommt. Immerhin stand die Geburt unseres Sohnes bevor, das musste meiner Meinung nach oberste Priorität haben. Und aufgrund der Größe des Babys und ein paar anderer Umstände war es auch schon klar, dass unser Sohn via Kaiserschnitt auf die Welt kommen werde. Man will ja nicht schon geschwächt in eine solche Operation hineingehen. Von Seite des Krankenhauses wurde unser Termin ein paarmal herumgeschoben und letztendlich ein bisschen vorverlegt, was unsere Hoffnung stärkte, dass Mum ihr 16. Enkelkind vielleicht noch zu sehen bekommen würde.
Schließlich stand der geplante Tag der Geburt bevor und wir verließen zumindest vor Mitternacht das Krankenhaus um zuhause etwas Schlaf zu bekommen.
Nur ein paar Stunden später wurden wir dann per Telefon aus dem Schlaf gerissen. Mum war verstorben. Wir fuhren gleich ins Krankenhaus, wo schon alle versammelt waren. Mum lag da – friedlich und schön, direkt jung aussehend und vom Kampf der letzten Tage sichtlich befreit. Alle waren recht gefasst und füreinander da. Da eine Beerdigung hier eine dreitägige Zeremonie mit sich bringt, zu der tausende Leute auf das Marae kommen, wurde auch dafür gleich ein Zeitplan aufgestellt. Für uns war klar, dass wir an unserem Geburtstermin festhalten werden, so schwer es für die Wyn jetzt auch sein würde, ihre verstorbene Mutter so schnell zurückzulassen. Ich war sehr besorgt, ob sie das alles nach den ermüdenden Nächten und dem Abschied von Mum noch aushalten würde. Aber einmal mehr zeigte meine Frau, was für eine Kraft und Größe sie hat. Wir fuhren mit dem Wissen heim, dass ihre sechs Geschwister und die ganze Großfamilie sich schon gut um alles kümmern werden und dass für uns einmal die Geburt unseres Sohnes Priorität haben muss. Nach wenigen Stunden Schlaf standen wir auf und machten uns wieder auf den Weg ins Krankenhaus – diesmal aber für unser Baby. Am Weg dahin blieben wir noch beim Bestatter stehen, wo Wyn ihre schon für das Begräbnis hergerichtete Mutter noch ein letztes Mal sehen durfte – für den wahrscheinlichen Fall, dass wir nicht bei ihrem letzten Weg dabei sein könnten. Und dann ab ins Krankenhaus.
DIE GEBURT VON MĀUI
Auf der Geburtenstation eingetroffen, wurden noch ein paar kleine Untersuchungen gemacht und über den Operationszeitpunkt am Nachmittag spekuliert, der zuerst doch wieder unsicher erschien aber dann aufgrund beginnender Wehen mit 16:00 festgelegt wurde. Es war jetzt Zeit, dass unser Baby auf die Welt kommen sollte. Wyn war ruhig und erstaunlich gut entspannt für die schwierigen Umstände. Von Seite des Krankenhauses wurde auch alles gemacht, damit es ihr gut geht – immerhin wusste jeder, dass Mum nur ein paar Stunden vorher im Block nebenan verstorben war.
Um ca. 13:30 Uhr machte ich mich noch einmal kurz auf den Weg in die Stadt, ich wollte unbedingt noch ein paar schöne Rosen für die bald frische Mutter und das Baby besorgen. Was eigentlich schnell gehen hätte sollen, dauerte aufgrund der üblichen neuseeländischen Langsamkeit sowie einer leeren Autobatterie und anderer kleiner Pannen doch ein bisschen länger. Als ich dann um ziemlich genau 15:00 Uhr zurück zum Krankenhaus kam, rannte mir schon jemand aufgeregt entgegen und schrie: „George, you better run now, the baby is coming.“ Man hatte Wyn aufgrund eines Loches im Operationsplan einfach um eine Stunde vorgezogen. Also bin ich direkt zum Operationssaal gerannt, hab mir schnell was übergezogen, meine Mutter lief mir noch ganz aufgeregt über den Weg und gratulierte mir schnell irgendwie. Und sobald ich in das „Allerheiligste“ eingetreten war, wurde mir mein vor wenigen Augenblicken (Punkt 15:08 Uhr) geborener Sohn in die Hände gelegt. Ein unbeschreiblicher Moment der Freude, Rührung und Sprachlosigkeit. Mir sind die Tränen heruntergeronnen und ich war eigentlich nicht ansprechbar. So sollte es mir noch den ganzen Tag und darüber hinaus bis heute immer wieder gehen. Das Wunder des neugeborenen Lebens hat mich berührt und seitdem erfreue ich mich jeden Tag daran.
Māui wurde übrigens im Maya-Nahual Tzikín geboren. Ich hatte die Verbindung von ihm mit diesem Nahual schon lange zuvor wahrgenommen und einige Zeichen dafür bekommen – inklusive passender Kraftgegenstände, die schon vor seiner Geburt in seinen Medizinbeutel eingegangen waren. Ich weiß, meine Maya-Familie in Guatemala wird sich über unseren Tzikin sehr freuen.
Der Kaiserschnitt ist kein kleiner Eingriff und so wurden uns einige Tage zur Erholung und Beobachtung im Krankenhaus verordnet. In Anbetracht der Tatsache, dass die Familie ja in einem Ausnahmezustand war, war mir das persönlich gar nicht so unwillkommen, da Wyn und das Baby sich erst einmal in Ruhe erholen sollten, bevor der Kleine dann herumgereicht würde und allen zum Trost über den noch nicht überwundenen Tod von Mum dienen sollte. Auch hatte ich so die Möglichkeit, meinen Sohn in Ruhe willkommen zu heißen, bevor der Rest der Welt das machen konnte. Die Zeit nach der Geburt ist voller Glücksmomente und hat tatsächlich eine ganz eigene Magie. Ich weiß gar nicht, wie viele Fotos ich von Māui alleine in den ersten paar Tagen gemacht habe.
Wyn erholte sich eher langsam aber letztendlich doch gut von der Operation. Māui war von Anfang an ganz problemlos unterwegs – mit gutem Appetit und Schlaf, rundum perfekt! Übrigens: Seinen Namen hat Māui von einem der prominentesten Urahnen der Polynesier (und somit auch der Maori) bekommen. Dennoch ist sein Name hier unter den Menschen nicht wirklich üblich. Aber die Geschichte des historischen Māui werde ich ein anderes Mal erzählen…Nur soviel zur Aussprache: Der Strich über dem a zeigt nur an, dass das a ein betont und ein bisschen langgezogen wird.
Wyns Mum hatte sich sehr auf Māui gefreut und vielleicht hat ihr die Aussicht auf ihn geholfen, noch ein wenig länger durchzuhalten. Letztendlich haben nur ein paar Stunden gefehlt, so knapp lagen Tod und Geburt, Trauer und Freude beieinander. Doch es sollte wohl so sein und wir gehen davon aus, dass alles so seine Richtigkeit hatte. Mauis Geburt und Mums Tod werden durch das gemeinsame Datum für immer in Verbindung und in der Erinnerung aller bleiben. Eines der letzten klaren Worte, das die sterbende Mum gesagt hat, war „Māui“.
DAS TANGI von MUM
Bei den Maoris wird ein Mensch nicht einfach begraben, sondern es gibt über drei Tage hinweg sehr ausführliche Zeremonien am Marae. Mum wurde gleich nach ihrem Tod nachhause auf unser Familien-Marae Umutahi gebracht, wo sie auch einen Großteil und die letzten Jahre ihres Lebens verbracht hat.
Das Tangi (Kurzform von Tangihanga) ist eine der wichtigsten Zeremonien in der Kultur der Maori. Wenn ein Tangi ansteht, wird alles andere einmal zurückgestellt und der ganze Stamm hilft bei der Abwicklung des Ereignisses zusammen. Zum einen muss da für Unmengen von Besuchern aufgekocht werden und da lassen sich die Maori nicht lumpen. Es ist sogar so, dass das Essen ein Aushängeschild eines jeden Maraes und einer jeden Familie ist. Also bemüht man sich, alles aufzutischen, was man vermag. Zum anderen wird jede ankommende Besucherpartei mit einer eigenen Willkommenszeremonie auf das Marae gerufen und es gibt laufend Zeremonien im Ahnenhaus, wo die Leiche im offenen Sarg aufgebahrt wird.
Jeder kennt den üblichen Ablauf bei einem Tangi. In erster Linie geht es dabei darum, das Leben des/der Verstorbenen zu feiern und zu ehren. Es wird viel gebetet und gesungen und Ansprachen gehalten, alles zu Ehren des aus dem leben geschiedenen Menschen. Es ist ein sehr ausgeprägter Totenkult, den die Maori betreiben.
Ich hatte zwischendurch die Gelegenheit auf das Marae zu fahren und dabei zu sein, während Wyn im Krankenhaus bleiben musste. Es war das erste Mal, dass ich bei einem Tangi dabei war und das war eine sehr spezielle Erfahrung. Ich hätte mir jedoch sehr gewünscht, dass es nicht das meiner Schwiegermutter gewesen wäre.
Mums Tangi war von sehr vielen Besuchern geprägt, von dem großen Respekt, den die Menschen in der ganzen Umgebung für sie hatten, und von der Liebe der Familie für die verstorbene Mutter, Großmutter und Urgroßmutter. Besonders die Enkel mit all ihrer Liebe haben einen wichtigen Platz auf der Seite der Großmutter. Insgesamt gibt es bei aller Traurigkeit einen sehr natürlichen Umgang mit dem Tod. Es dürfen auch Witze gemacht und das vergangene Leben mit Humor beleuchtet werden, um die Energie immer wieder aus der Schwere zu heben. Besonders die letzte Nacht ist die Zeit, wo jeder im Ahnenhaus zu Ehren der Verstorbenen sprechen kann.
Das Tangi schließt am dritten Tag mit der eigentlichen Beerdigung. Und da war es Wyn auch ausnahmsweise von den Ärzten erlaubt, das Krankenhaus zu verlassen. Trotz Schmerzen und dem neugeborenen Māui wollte sie es sich nicht nehmen lassen, an der Beerdigung ihrer geliebten Mutter teilzunehmen. Also haben wir das alles ermöglicht, obwohl ich ein bisschen ein mulmiges Gefühl dabei hatte. Ich war in den paar Stunden bei der Beerdigung eigentlich in erster Linie um das Wohl meiner Frau und meines Babys besorgt. Den ersten Ausflug von Maui aus dem Krankenhaus hatte ich mir – ehrlich gesagt – schon anders vorgestellt. Aber es war eben so und da fuhr die Eisenbahn drüber. Wie wichtig den Maoris auch die physische Nähe zu dem verstorbenen Angehörigen ist, das war für mich etwas Neues und eigentlich nicht so direkt zu verstehen. Muss ich aber auch nicht.
Mum hat zu Lebzeiten nie viel Aufmerksamkeit gemocht. Sie war ein großes Beispiel für Demut und Bescheidenheit und dennoch war sie unter den Maoris für ihre noble Herkunft aus einer Familie von Häuptlingen bekannt. Sie hinterlässt in der Großfamilie ein großes Loch, sie war immer für alle da und brachte die Familie immer an einem Tisch zusammen. Das hat sie auch noch einmal mit ihrem Tod gemacht, durch den auch die weitere Familie wieder enger zueinander gefunden hat.
Nach der Beerdigung blieben die näheren Familienmitglieder noch einige Tage auf dem Marae, was dem gemeinsamen Verarbeiten des Ganzen dient. Wir gingen noch einmal für ein paar Tage in das Krankenhaus zurück. Mittlerweile ist gottseidank auch das überstanden, wir sind wieder in Freiheit und Māui kann endlich das echte Leben anfangen kennen zu lernen. Die Geschehnisse wirken noch stark nach und es wird noch ein bisschen dauern, bis die gesamte Familie hier wieder zur Normalität zurückkehren kann.
FAZIT
Unsere Hochzeit scheint nach all dem, was danach kam, schon recht weit weg und wir haben im Schnelldurchlauf schon einiges an „guten Zeiten und schlechten Zeiten“ (wobei „gut“ und „schlecht“ keine sinnvollen Kategorien sind) durchgemacht. Zusammen macht uns das bestimmt stärker. Für mich persönlich waren es große Einweihungen in die zentralen Dinge des Lebens. Meine Hochzeit und die Aufnahme in den Stamm, meine erste Geburt, meine erste unmittelbare Teilnahme am Tod eines geliebten Menschen – alles innerhalb von 10 Tagen, mehr geht nicht. Eine unglaubliche Geschichte, die man in keinem Film glaubwürdig bringen könnte. Wir Menschen empfinden so etwas eher als Höhen und Tiefen, aber in Wirklichkeit war es eine ganz große Transformationsmaschine, die da angefahren ist.
Da kann man nur dankbar sein für alles. Am Ende zählt sowieso nichts so viel wie die Freude über das Leben, speziell über unseren lieben Sohn Māui und über jeden neuen Tag, den wir gemeinsam als Familie verbringen dürfen. Gracias a la vida!