3:45 in der Früh: Kikeriki, kikeriki!!! Ein Hahn schreit mich aus dem Schlaf und ich habe erst einmal keine Ahnung, wo ich bin. Ich schaue um mich und nehme eine mir unbekannte Umgebung wahr. Meine Familie ist gottseidank da und schläft tief und fest. Der nicht ganz unvertrauten Art des Weckrufes nach müssten wir ja in Guatemala sein, aber waren wir nicht gerade noch in Neuseeland!? Da fällt es mir wieder ein: Wir sind gestern auf Rarotonga gelandet – yes!!! Ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen, drehe mich noch einmal um und schlafe überglücklich wieder ein…
Das war mir auch schon lange nicht passiert, dass ich aufwachte und nicht wusste, wo ich bin. Früher einmal, wo ich noch viel gereist bin, habe ich das ja mit hoher Regelmäßigkeit erlebt, doch in den vergangenen paar Jahren sind wir hauptsächlich auf uns gut bekannten Pfaden unterwegs gewesen. Der große Wunsch mal wieder etwas Neues kennen zu lernen war unter anderem ein wichtiger Grund für unseren Trip nach Rarotonga. Viel exotischer geht es dann ja nicht mehr, würde man meinen, aber von Neuseeland aus ist es gar nicht so weit hinaus in den Pazifik.
Wer weiß schon, wo Rarotonga ist und zu welchem Staat es dazugehört? Die Frage wäre wohl einiges wert bei der Millionenshow und die Antwort lautet: Rarotonga ist die Hauptinsel der „Cook-Inseln“, einem Zwergstaat weit draußen im großen Pazifik, zu dem ca. ein Dutzend kleine, bewohnte Eilande vulkanischen Ursprunges gehören, die sich über mehrere Tausend Kilometer verteilen.
In Neuseeland ist Rarotonga als Kulisse für Traumhochzeiten oder Honeymoon bekannt – beim entsprechend wohlhabenden Publikum klarerweise oder bei den Zusehern von Hochzeits-Realityshows. Die Maori Neuseelands haben zu Rarotonga vor allem einen historischen Bezug, auf den ich nachher noch eingehen werde.
Wyn und ich hegen schon länger den Traum, ein paar der kleineren Inseln im weiten Pazifik zu besuchen. Nicht nur um deren Schönheit zu genießen, sondern vor allem um die verschiedenen kulturellen Ausprägungen der polynesischen Völkerfamilie kennen zu lernen, zu denen die Maori ja auch gehören. Rarotonga ist dabei eine der leichter zu erreichenden Destinationen. Es gibt äußerst günstige Flüge von Neuseeland aus und genau so einen haben wir uns Ende Februar gebucht.
Man hat ja so seine Vorstellung von einem kleinen idyllischen Inselchen in der Südsee. Die Fotos im Internet sind sehr vielversprechend und die Leute von den Cook-Inseln sind sowieso ausgesprochen nette und angenehme Zeitgenossen. Das weiß man in Neuseeland, wo ein Großteil von ihnen – sozusagen als Wirtschaftsflüchtlinge – lebt und arbeitet. Wir sind also mit sehr viel Vorfreude auf diese vielversprechende Reise gegangen. Die drei Stunden Flug vergingen wie im Flug. Māui hatte dabei – gerade zwei Jahre alt geworden – erstmals seinen eigenen Sitz und war ruhig und entspannt wie immer.
Schon beim Anflug auf Rarotonga sieht die Insel tatsächlich wie der Inbegriff eines kleinen Paradieses aus. Schroffe, vulkanische und mit saftigem Regenwald überwachsene Bergspitzen in der Mitte der Insel gehen über in einen flacheren Bereich mit kleinen, zwischen Kokospalmen zerstreuten Siedlungen. Die ganze Insel ist von weißen Sandstränden und einer türkisfarbenen Lagune eingesäumt, die von einem mit weißen Wellen umkräuselten Korallenriff zum dunkelblauen Meer hin begrenzt wird.
Die Landebahn ist für eine kleine Insel recht großzügig, der Flughafen gleicht dafür eher einem kleineren Busbahnhof. Auf den 30 Metern Fußweg zur Ankunftshalle freute ich mich schon über die tropische Hitze, die ich so sehr mag. Gleich fällt einem auch die Freundlichkeit der Einheimischen auf – sogar bei der Passkontrolle. Das Warten auf dieselbe wird mit life gespielter, lieblicher Ukulele-Musik untermalt und wenig später ist man schon auf der Straße draußen. Wir haben uns von einem Taxi zu unserem günstigen Quartier bringen lassen, wo wir die ersten paar Nächte verbringen wollten. Dort sind uns auch gleich die Hähne über den Weg gelaufen und ich ahnte noch nicht, dass mich selbige nur wenige Stunden später aus meinem ersten süßen Schlaf reißen würden.
Kurz gesagt, die Woche auf Rarotonga war noch besser, als wir uns das je erwartet hätten – um nicht zu sagen: perfekt! Auch in unserem einfachen Quartier hat es uns so gut gefallen, dass wir gleich für die ganze Woche verlängert haben. Das herumlaufende Federvieh hat das etwas rustikale Ambiente erst richtig perfekt gemacht.
Rarotonga könnte man in einem einzigen Tag auch erkunden. Eine Fahrt um die ganze Insel herum beim allgemeinen Tempolimit von 50 km/h dauert eine knappe Stunde. Dabei sind aber diverse Stopps für freilaufende Hühner sowie für Fotos von Traumstränden schon eingerechnet. Alles geht in einer angenehmen Langsamkeit vonstatten und wir haben uns auch gleich auf „Island Time“ umgestellt. Der dazu passende Tagesrhythmus ergibt sich eh von selbst. Baden, Brunch, baden, Kaffee, baden, Siesta, baden, Abendessen, baden. Zwischendurch interessante Plätze erkunden und ein bisschen weiter vom Strand in das Innere der Insel hineinschnuppern sowie mit ein paar Einheimischen Kontakt aufnehmen. Dabei haben wir ein paar echt interessante Leute kennen gelernt, wobei es natürlich hilfreich war, dass wir 1 ½ Maori in unserer Familie haben.
Das gegenseitige Verständnis zwischen Cook-Islandern (die sich auch selbst Maori nennen) und Maori ist ja aufgrund der gemeinsamen Herkunft und Geschichte ohnehin sehr groß. Sogar deren indigene Sprache ist sehr ähnlich. Und viele ihrer Gebräuche und Legenden auch. Das liegt daran, dass die Vorfahren der heutigen Maori Neuseelands Ihre letzte große Reise über das Meer von Rarotonga aus angetreten haben, um eine neue Heimat in Aotearoa zu finden und neue Stämme zu gründen. Der kleine natürliche Hafen, von dem die großen Wakas vor ca. 900 Jahren in das Meer hinaus gefahren sind, ist ein wichtiger historischer Platz für die Maori. Die Cook-Insulaner anerkennen die Maori als Nachfahren ihrer gemeinsamen heldenhaften Ahnen und sagen spaßhalber: „Ihr seid mit den Booten nach Neuseeland gekommen und wir sind dann ein paar Jahrhunderte später mit Air Newzealand nachgeflogen.“ Der Spaß kommt bei den Leuten auf den Inseln ohnehin nie zu kurz und die Atmosphäre ist sehr lustig, angenehm und nett. Auf den Cook-Inseln hatten sie einst das Glück, dass deren natürliche Ressourcen bei den europäischen „Entdeckern“ nicht so begehrt waren wie die auf anderen Inseln, und darum war die Kolonialisierung dort vorerst nicht so grausam wie anderswo. Es gibt auch bis heute nicht so viele weiße Einwanderer dort und die indigenen Menschen machen die absolute Mehrheit der Inselbewohner aus – das schafft naturgemäß ein angenehmes Klima. Eine nicht weniger ausbeuterische Art der Kolonialisierung hat die Insel dennoch erreicht, und zwar die christlich-religiöse. An jeder Ecke steht eine Kirche und die Leute können aus den in in Übersee üblichen Optionen wählen, an wen sie ihren Zehent abliefern und wer ihnen den Weg ins Himmelreich öffnet: Methodisten, Babtisten, Adventisten, Mormonen, Zeugen Jehovas und was weiß ich noch alles. Die Einheimischen sagen zwar, dass der christliche Glauben geholfen hat, die alten Stammesfehden zu beruhigen und Frieden auf der Insel zu installieren, und ich möchte das in keiner Weise in Abrede stellen. Doch darf man dabei nicht vergessen, dass die Religion nicht nur die alte Spiritualität, sondern auch die Sprache, zahlreiche Bräuche, die Naturheilkunde u.vm. platt gemacht hat. Die ursprüngliche Verbindung zur Mutter Erde und ihren Wesen vermissen die Menschen anscheinend schon, wenn man so zwischen den Zeilen zuhört. In ihrem zwischen den Kirchen marginal aufkeimenden Bestreben nach kultureller Wiederverbindung mit dem Weg der Ahnen schauen die Insulaner wie viele indigene Völker dieser Welt auf die Maoris in Neuseeland, die sich in vielerlei Hinsicht erfolgreich eine Renaissance ihrer indigenen Kultur erkämpft haben.
In unseren Begegnungen mit ein paar bewussteren Inselbewohnern haben wir viel über diese Dinge erfahren. Besonders erinnere ich mich an Tetini, einem sehr anerkannten Ältesten, der neben seiner Meisterschaft im Holzschnitzen auch Kapitän eines nachgebauten, traditionellen Überseekanus ist und es versteht wie die polynesischen Urahnen ohne moderne Technik durch den Pazifik zu navigieren. Er hat uns auch von seinen Reisen über das Meer erzählt, die bis nach Nordamerika geführt haben. Es ist immer wieder beeindruckend, lebende Hüter von beinahe ausgestorbenen kulturellen Fähigkeiten zu begegnen. Und heutzutage ist es ja zudem schon fast ein Luxus, wenn man mit netten Menschen ohne Blick auf die Uhr und das Smartphone einen netten und interessanten Nachmittag verbringen kann.
So haben wir nicht nur einen traumhaft schönen Urlaub, sondern echte „quality time“ auf Rarotonga verbracht. Am schönsten war bei all dem das Meer. Türkisblaues Wasser mit Badewannentemperatur knapp unter 30°, eine flache Lagune mit weichem, weißem Muschelsand, wenig Leute, bunte Fische überall, schnorcheln, plantschen, schwimmen, tauchen – und das alles zusammen mit der Familie genießen! Māui war kaum noch aus dem Wasser zu bringen. Auch an Land geht es sehr entspannt zu und man genießt es einfach, wenn man einmal eine gewisse Zeit fernab der Probleme dieser Welt und außerhalb all der gewohnten Sicherheitsmaßnahmen sein kann, nicht ständig seine Siebensachen im Auge behalten, Auto und Haus zusperren, Kindersitz montieren muss usw. Für all das braucht man auch keinen Luxus und keine All-Inclusive-Clubs. Die gibt es auf Rarotonga vereinzelt auch, aber so etwas wäre uns eindeutig zu blöd, zu langweilig und auch zu kostspielig. Denn gerade das Abhandensein des westlichen Perfektionismus und seiner Vertreter ist der größte Schatz, den man auf so einer Insel finden kann.
Der Abflug nach einer Woche ist uns gar nicht leichtgefallen und wir hätten es noch wesentlich länger aushalten können. Als ich vom Flieger aus noch einmal mit großer Dankbarkeit auf die kleine Insel zurückgeschaut habe, fühlte es sich an, als ob ein Traum zu Ende geht. Ich bin ja schon weit herumgekommen, aber das war mal wieder ein neuer Maßstab – speziell jetzt mit meiner kleinen Familie! Bis heute vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht über Rarotonga sprechen und das angenehme Gefühl von dort wieder in uns erwacht. Und übrigens: Wenn Gott will, dann fliegen wir nächstes Jahr noch einmal dorthin. An unserem Wollen scheitert es sicher nicht. Und wer möchte, kann gerne mitkommen.
Hier noch ein paar Fotos:
Welcome oder Kia Orana, wie man in Rarotonga sagt
Wie immer muss man sich zuerst mal orientieren, wenn man neu wo ankommt
Doch bald waren wir zielstrebig on the road, Māui hat sich über die ungewöhnliche Freiheit genauso gefreut wie ich
Diese Tafel steht am historisch bedeutsamen Abreiseplatz der Wakas. Wyn und Māui stammen sowohl von den beiden Kanus Mataatua und Te Arawa ab.
Māui hat sich aber mehr für das hier interessiert
und das hier
Dass der Strand das Beste war, darin waren wir uns alle einig. Blick nach rechts…
und Blick nach links
erst mal vorsichtig
und sich dann immer etwas weiter vorwagen
Beachboy
so sieht es Richtung Inselmitte aus
Geschäftsstelle der Mormonen
im Kaffeehaus
einer der traumhaften und unvergesslichen Sonnenuntergänge
Was sich der Māui wohl gedacht hat?
eines der seltenen Selfies von Wyn und mir
Te Rerenga Wairua, der Absprungplatz der Seelen nach dem Tod. Das energetische Pendant zu Cape Reigna in Neuseeland
Vor dem Heimflug, Māui scheint es schon geahnt zu haben und wir wären auch noch gerne geblieben
Wieder mal musste die Schmusedecke als Tröster und Einschlafhilfe herhalten.
letzter Blick zurück
Einfach happy – dieses Gefühl ist unbezahlbar!!!