Antigua Guatemala ist – wie der Name schon sagt – die alte (=ehemalige) Hauptstadt Guatemalas. Das große Erdbeben im Jahr 1773 hatte Antigua zum Großteil zerstört, worauf die neue Hauptstadt Guatemala City 50 km weiter errichtet wurde. Antigua wurde wieder aufgebaut, und während die neue Hauptstadt von den ausländischen Besuchern des Landes weitgehend gemieden wird, erstrahlt Antigua heute als koloniales Juwel in neuem Glanz, ist UNESCO-Weltkulturerbe und beherbergt wunderbare Geschäfte, Lokale und Hotels. Somit ist Antigua ein Muss für jeden Guatemalabesucher und auch beliebtes Wochenendziel für die Leute aus der nahe gelegenen Hauptstadt. Dass hier an Sonntagen ein gewisser Rummel stattfindet, ist mir längst bekannt aber durchaus eine nette Abwechslung, wenn ich vom ruhigen Landleben unter den Indianern hierher komme.
Für eine Woche im Jahr spielt sich hier jedoch das wahrlich Außergewöhnliche ab, das ich bisher nur aus Erzählungen anderer kannte. Ostern ist ja DAS große Fest der meist doch recht religiösen Guatemalteken. Niemand arbeitet (wenn irgendwie möglich), es ist die wärmste Zeit des Jahres und alle sind in Feierstimmung. Für die, die es sich leisten können, heißt das „Ab ans Meer (oder auch den See)!“, für andere heißt es einfach nur „Prost!“ und ganz besonders viele zieht es zu den großen und weltweit berühmten Osterprozessionen nach Antigua. Neben den einheimischen Gläubigen oder einfach nur Schaulustigen kommen auch viele Ausländer dorthin, einer davon war heuer ich.
Es ist wahrlich ein Spektakel, das man sich nicht vorstellen kann, wenn man nicht einmal selber dabei gewesen ist. Die Stadt ist gerammelt voll mit hunderttausenden Menschen wie die Wiener Donauinsel am alljährlichen, gleichnamigen Fest. All die vielen Hotelbetten, die den Rest des Jahres wenig Auslastung haben, sind belegt; die vielen weniger betuchten Menschen schlafen einfach mit ein paar Decken eingewickelt irgendwo am Straßenrand. Überall sind Menschen, die feiern, essen, trinken, kaufen oder verkaufen, fotografieren und vor allem schauen. Jahrmarktstimmung also, aber nicht nur.
Denn – wie wir wissen – geht es ja zu Ostern darum, des Todes des Menschen Jesus und dessen Auferstehung zum Christus zu gedenken. In Guatemala rennt das freilich etwas anders ab als bei uns hier, nicht nur durch die Tatsache, dass es Prozessionen gibt. Wenn man in Antigua in der Osterwoche auf die Straße geht, rennen einem gleich in schnellem Schritt violett gewandete Männer mit Speeren und ähnlichem Zeugs über den Weg, die fast ein bissl wie Scheichs aussehen, dann wieder römische Soldaten, schon seltener Statthalter im Streitwagen und jede Menge Frauen im Trauergewand.
Ein großer Teil der erzkatholischen Bewohner Antiguas nimmt aktiv (das heißt zumindest in adäquater Montur) an den Prozessionen teil. Prozessiert wird praktisch rund um die Uhr und so rennt es ungefähr ab:
Jede der unzähligen Kirchen der Stadt hat ihre eigenen Plattformen mit darauf montierten Jesus- und Marienfiguren, die dann zumindest 12 Stunden durch die Stadt getragen werden – einem allgemein bekannten Zeit- und Wegplan folgend, damit man sich nicht in die Quere kommt. Zuerst kommen unzählige der violetten „Scheichs“ und schwenken Speere und/oder Weihrauchgefäße. Wenn die Luft dann dick genug mit Weihrauch ist und es einem ganz sauer den Hals runter und in den Augen brennt, dann wird Spalier gestanden und der gaffende Pöbel (darunter diesmal auch ich) an die Hauswände gedrängt, damit der Zug durchziehen kann. Schon von weitem hört man den Trauermarsch, den die mitziehende Blaskapelle spielt, das ist besonders bei den nächtlichen Prozessionen direkt gruselig. Dann nähert sich langsam eine hin und her wackelnde, von ca. 100 Männern getragene, riesige (wie ein Fernlaster!), aufwendig gestaltete und geschmückte Holzplattform, auf die eine Figur des das Kreuz tragenden Jesus montiert ist. Dahinter mit einigem Abstand kommt noch einmal so ein Riesending dahergewackelt, das jedoch von Frauen getragen wird und eine Maria in Trauerpose trägt. Die Gestelle sind dermaßen riesig, dass sie teilweise nur unter langem Vor und Zurück bzw. Hin und Her um die engen Straßenecken gebracht werden, unter den tief hängenden Stromkabeln durch. Schwer dürften sie auch sein, denn nach einigen Stunden sehen die Träger schon sehr mitgenommen aus, aber mit viel Hingabe, Stolz, Ehrgefühl und strenger Miene wird die Last getragen…
So geht das die ganze Woche lang Tag und Nacht, quasi ununterbrochen. Man kann gar nicht irgendwo spazieren gehen, ohne unverhofft in eine Prozession zu geraten und mir hat es nach drei Tagen eigentlich gereicht. Den Karfreitag habe ich noch abgewartet, denn da findet das Geschehen logischerweise seinen Höhepunkt. Die Gewänder wechseln Ihre Farbe von Violett zu Schwarz und Jesus trägt jetzt kein Kreuz mehr, sondern er liegt in einem gläsernen Sarg. Und der Trauermarsch der Kapellen reduziert sich mehr zu dumpfen Trommelschlägen…
Mir persönlich gefällt es an sich nicht so sehr, dass der Fokus der Leute so sehr auf das Leiden und die Entwürdigung des menschlichen Jesus gerichtet ist, und dass da alle so sehr mit ihren eigenen Emotionen von Trauer und Leid hineingehen müssen. Die viel schöneren Geschichten aus dem Leben von Jesus, dem großen Meister des Herzens, werden nicht dargestellt. Auch nicht der Heilige Geist, aber das ist wahrscheinlich nicht so einfach… Aber wie auch immer, die Pozessionen haben mich beeindruckt, die Hingabe und der Gemeinschaftsgeist der Leute in der Vorbereitung und Abwicklung ist auch was ganz schönes. Das zeigt sich besonders in den so genannten „Alfombras“, auf Deutsch „Teppichen“, die aus Sägespänen, buntem Sand, Blumen, Obst und Gemüse und allen möglichen Dingen in arbeitsreichen Stunden vor dem Eintreffen der Prozession von den Anrainern am Kopfsteinpflaster aufgetragen werden. Dabei entstehen in großer Hingabe und mit großem materiellem Aufwand die schönsten Mandalas, die tatsächlich wie Teppiche aussehen, und die nur für den einen Moment geschaffen werden, in dem die Prozession drübertrampelt, sodass danach nur noch ein Misthaufen übrig bleibt, der gleich von der Müllbrigade verladen wird. Meine Bilder von den Alfombras sind nicht so berühmt, hier sind nur ein paar. Wenn man jedoch im Google danach sucht oder den Link hier anklickt, dann versteht man gleich viel eher, was Sache ist:
Ja, die Prozessionen sind ganz schön beeindruckend und bei aller Gläubigkeit auch ein bissl ein Theater der Marke Hollywood, und das scheint „der Mensch“ wohl als Entertainment und Emotionsstoff zu brauchen. Ich brauch das weniger und war wohl eher nur Zaungast bei der Sache. Dass das Ganze in einem Land wie Guatemala so eine große Sache ist, hat mich dann aber doch nicht gewundert und letztendlich auch angenehm berührt, weil immerhin ist auch in der Maya-Tradition „der Tod“ eine ganz wichtige und zentrale Kraft, die uns auf unserer Seelenwanderung Schutz, liebevolle Begleitung, Transformation, Wandlung, Erkenntnis, Auferstehung und Neugeburt bringt. Als das kenne ich KEME, sie /er ist weit mehr ist als nur „der Tod“ , „La Muerte“ oder “Pascual”…